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Nach fast 20 Jahren haben alle NATO-Soldaten die Basis Bagram verlassen. Beobachter warnen vor der Zeit nach dem Abzug. Die Taliban sind wieder auf dem Vormarsch.
Auf gepackten Koffern: Ein Transportflugzeug der US-Luftwaffe landet am Donnerstag in Bagram
Im Rahmen ihres Abzugs aus Afghanistan hat die NATO den wichtigsten Luftwaffenstützpunkt Bagram geräumt. Alle Soldaten des Bündnisses hätten die Basis verlassen, teilte ein US-Militärvertreter mit. Von dort aus waren in den 20 Jahren des Afghanistan-Krieges zahlreiche Angriffe gegen die Taliban und andere islamistische Gruppen gestartet worden.
Ein Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums gab auf Twitter bekannt, ab sofort würden einheimische Soldaten den Stützpunkt "beschützen und für den Kampf gegen den Terrorismus nutzen."
Bagram war das Hauptquartier der US-Truppen im Land. Jahrelang befand sich dort - rund 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kabul - zudem ein US-Internierungslager, in dem Terrorverdächtige festgehalten wurden. 2013 ging die Kontrolle auf einheimische Sicherheitskräfte über.
Auf unsicherem Gelände: Ein afghanischer Soldat an einem Checkpoint nahe dem Stützpunkt Bagram
Zeitweilig waren in Bagram mehrere Zehntausend US-Militärangehörige stationiert. Laut einer Ankündigung von Präsident Joe Biden sollen alle Truppen bis spätestens zum 11. September - dem 20. Jahrestag der Terroranschläge in den Vereinigten Staaten - aus Afghanistan abziehen. Seit Ende April wurden bereits mehrere Militärstützpunkte an die afghanische Armee übergeben. Die Bundeswehr verließ das Land am Hindukusch am Dienstag und beendete damit den längsten Auslandseinsatz ihrer Geschichte.
Die Regierung von Bidens Vorgänger Donald Trump hatte im Februar 2020 im katarischen Doha ein Abkommen mit den Taliban geschlossen, die für zahlreiche tödliche Anschläge verantwortlich sind. In jüngster Zeit flammte die Gewalt noch einmal auf. Direkte Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung stocken.
Auf freiem Fuß: Viele Mitglieder der Taliban wurden zwischenzeitlich aus ihrer Haft entlassen (Archivbild)
Während die Islamisten den Abzug der NATO-Truppen - eine ihrer Hauptforderungen - in einer Stellungnahme begrüßten, warnten Beobachter, die Sicherheitslage im Land dürfte sich ohne Intervention ausländischer Kräfte in Zukunft weiter verschlechtern. Von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die US-geführte Militärkoalition 2001 hatten die Taliban Afghanistan beherrscht und die Menschenrechte, vor allem die Rechte der Frauen, massiv beschnitten. In den vergangenen Monaten gelang es ihnen, weite Teile des Landes erneut unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die Historiker mögen irgendwann mal darüber streiten, was politisch vom US-Einsatz in Afghanistan bleibt. Schon jetzt ist klar, was ganz praktisch "übrig bleibt": jede Menge Schrott.
Fast 20 Jahre lang war Bagram Kommandozentrum der US-Armee beim Afghanistan-Einsatz. Bis zum 20. Jahrestag der Terroranschläge in Washington und New York am 11. September will die Army komplett abgezogen sein - also in gut elf Wochen. Viel Equipment kann die Armee mitnehmen oder den Sicherheitskräften vor Ort überlassen. Doch vieles bleibt einfach zurück: Plunder, Verpackungen, Elektroschrott.
In zwei Jahrzehnten haben mehr als hunderttausend US-Soldaten in Bagram gedient. Die Basis 70 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kabul war im Laufe der Zeit zu einer amerikanischen Kleinstadt herangewachsen, mitsamt Ladenstraße und Fast-Food-Restaurants. Hier ist zu sehen, was von den Errungenschaften der westlichen Zivilisation am Ende übrig bleibt.
Der Schrottplatz vor den Toren Bagrams ist zu einem Ort für Glücksritter geworden. In Scharen kommen sie, um den Müll nach Nutzbarem zu durchforsten - so wie dieser Mann, der ein paar Militärstiefel gefunden hat. Die Hoffnung ist, dass das ein oder andere sich vielleicht noch zu Geld machen lässt.
Vor allem IT-Schrott lagert nahe Bagram. In solchen Platinen verbergen sich Steckteile und Schrauben, die wiederverwendet werden können. Außerdem enthalten sie Wertstoffe wie Kupfer und manchmal sogar kleinste Mengen Gold. Für die US-Amerikaner offenbar Müll, in Afghanistan aber - wo laut Weltbank das Durchschnitts-Jahreseinkommen unter 500 Euro liegt - für manch einen wertvolle Ware.
Bagram am Fuße des Hindukusch hat als Armeestützpunkt eine lange Geschichte - hier ein Bild von 2004. Schon während der sowjetischen Invasion ab 1979 wurde die Basis von der Roten Armee genutzt. Wenn jetzt die Amerikaner abziehen, so die Befürchtung, könnte Bagram in die Hände der Taliban fallen. Das wäre ein strategischer Sieg für die Islamisten.
Seit dem 1. Mai läuft offiziell der Rückzug der Truppen. Um auch noch den Müll zu entsorgen, fehlt schlicht die Zeit. Für mögliche Angriffe der Taliban während des Abzugs des Militärs werden schwere Waffen und zusätzliche Kräfte bereitgehalten. Zuletzt waren 36 NATO-Staaten und Partnerländer an der Mission beteiligt, darunter 2500 Soldaten aus den USA und rund 1100 aus Deutschland.
Alle packen mit an: Ein Mädchen holt eine zerbeulte Metallkiste vom Schrottplatz. Trotz aller Not: Gerade Mädchen und junge Frauen haben in Afghanistan vom US-geführten Militäreinsatz und dem Sturz der Taliban 2001 profitiert. Sie können in die Schule gehen und als Erwachsene eben überall anpacken - auch in höchsten Ämtern bei Gerichten und in anderen Institutionen.
Auch manches Fundstück mit rein ideellem Wert findet sich auf dem Schrottplatz. So einen Seelentröster können manche jetzt vielleicht gebrauchen: Rund um Bagram sind zahlreiche Siedlungen von afghanischen Ortskräften entstanden, die von der US-Base gelebt haben. Viele müssen jetzt schauen, was aus ihnen und ihren Familien wird.
Was bleibt also von 20 Jahren US-Repräsentanz am Hindukusch - außer ausgelatschten Stiefeln und verrostetem Draht? "Die Partnerschaft zwischen Afghanistan und den Vereinigten Staaten endet nicht", versprach Joe Biden am 25. Juni im Weißen Haus bei seinem Treffen mit Afghanistans Präsident Aschraf Ghani. Millionen Afghanen werden den US-Präsidenten beim Wort nehmen.
Autorin/Autor: Friedel Taube (Text), Adek Berry (Fotos)
jj/wa (dpa, afp, rtr)
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